Das Kind um seiner selbst willen

Nie wollte ich ein Kind, um meinem Leben einen Sinn zu geben. Ich sehnte mich nach einem Kind um seiner selbst willen. Es war mein Herzenswunsch, Kinder groß zu ziehen und sie ins Leben zu begleiten. Gewiss spielte auch die Biologie eine Rolle: ich sehnte mich danach, mich fortzupflanzen, um einen weiteren Ast an dem Familienbaum, aus dem ich hervorgegangen war, hinzuzufügen. Ich war neugierig darauf, wie mein Kind aussehen würde. Es ging nie um mich, sondern immer um ein anderes Wesen. Heute kann ich sagen: mein Leben hat auch ohne Kinder einen Sinn, dennoch werde ich mein ganzes Leben das Fehlen eigener Kinder betrauern. 

Khalil Gibran’s Worte waren ein wichtiger Schlüssel zu dieser Einsicht:

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der
Sehnsucht des Lebens nach sich selber.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie
euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben,
aber nicht eure Gedanken,
denn sie haben ihre eigenen
Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern
ein Haus geben,
aber nicht ihren Seelen,
denn ihre Seelen wohnen
im Haus von morgen,
das ihr nicht besuchen könnt,
nicht mal in euren Träumen.

Ihr dürft euch bemühen,
wie sie zu sein, aber versucht
nicht, sie euch ähnlich zu
machen.

Denn das Leben läuft nicht
rückwärts, noch verweilt es im
Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen
Eure Kinder als lebende Pfeile
ausgeschickt werden.“

Aus Khalil Gibran, Ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, Von den Kindern, Patmos Verlag, 2013

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