Es passiert nicht

In der Anfangsphase meines Kinderwunsches, in der ich ja bereits Ende 30 war, lehnte ich eine künstliche Befruchtung ab. Es war mein Traum und absoluter Wunsch zu lieben und zu empfangen, – daraus sollte ein Kind entstehen. Heute im Rückblick mag das naiv klingen, aber bei so vielen klappte es doch so! Ich war so überzeugt, dass ich die Empfehlungen meiner Mutter und einer Freundin, eine Kinderwunschpraxis wenigstens für eine Beratung aufzusuchen, anfangs ablehnte. Zudem wollte mein Mann, der ja drei heranwachsende Kinder hatte und keinen Zweifel an seiner Zeugungskraft hegte, davon nichts wissen. Mir bereitete die Vorstellung einer extra-korporären Zeugung im Labor große Schwierigkeiten. Wie sollten Embryos in Petrischalen auf neonbeleuchteten „Brutstationen“ gedeihen? Wie würde sich eine solche Zeugungsart auf das Kind auswirken? Ich empfand eine In Vitro Fertilisation (IVF) als einen lieblosen und ICSI als einen geradezu gewaltsamen Eingriff. Meine Skepsis war enorm.

Etwa 70 Zyklen, 6 Jahre lang, haben wir es probiert, natürlich dann auch mit ärztlicher Hilfe. Das Leben wurde zur Sinuskurve. Die Tage zur Zyklusmitte hin waren von positiver Stimmung bestimmt: ich konnte hoffen, denn ich hatte wieder eine „Runde“ vor mir, wieder ein Versuch, in dem ich alle Kräfte und Energie darauf konzentrierte, die optimalen Voraussetzungen mitzubringen, so gut ich diese beeinflussen konnte, damit es vielleicht dieses Mal klappte. Ab Zyklusmitte, als ich nur noch abwarten konnte, verdüsterte sich die Stimmung, und täglich wurde mir banger zumute aus Angst, das Ergebnis könnte wieder negativ ausfallen.

Die Kinder der Freunde, die ich als Freunde der meinigen zu erleben träumte, wuchsen heran. Es reihte sich ein Geburtstag an den anderen. Sie wuchsen uns regelrecht davon. Manchmal fühlte ich mich gemieden, weil ich kinderlos war. Gegenüber den wenigen Freunden, die von meinem Kinderwunsch wussten, schämte ich mich. Diejenigen, die Kinder bekamen, schienen mich zu meiden, ich dachte aus Takt, mir der „Gescheiterten“ den Anblick ihrer glücklichen Kinderschar zu ersparen. Die Uhr tickte, unerbittlich. Und doch raffte ich mich jeden Monat wieder auf, und probierte es wieder. Bis ich nicht mehr in der Lage war, darüber zu reden, am allerwenigsten mit meinem eignen Partner.

Ich hatte den richtigen Zeitpunkt schlichtweg verpasst. Das Bild, das mich in diesen Jahren verfolgte, war das eines ausfahrenden Zuges, von dem ich nur noch die roten Schlusslichter erblicken durfte. Mein lang ersehnter Lebenszug, auf den ich immer aufspringen wollte, war ohne mich abgefahren. Gleichzeitig hatte ich Panik davor, den Lebensabschnitt, der sonst Kindern gewidmet ist, zu überspringen und direkt ins letzte Drittel zu wechseln. Besonders schmerzten Bescheide der Krankenkasse, in denen mir mitgeteilt wurde, dass ich aufgrund meiner Kinderlosigkeit einen höheren Rentenbeitrag entrichten musste. Wusste der Computer der Behörde nicht von meinen zermürbenden Versuchen? Konnte er mir diese bürokratische Gefühllosigkeit nicht ersparen?

Jahre später fand ich auf dem Speicher meiner Großmutter meine Spielsachen, von meiner Großmutter sorgfältig in Kisten verpackt, damit ich sie eines Tages für meine eigenen Kinder hervorholen würde. Unter den vielen Puppen fand ich eine von mir sehr geliebte Puppe, Giulia, mit der ich sehr viel gespielt hatte. Sie war für mich Inbegriff meines kindlichen Mutterdaseins gewesen und mit ihr hatte ich meine Phantasien von einem späteren, wahren Muttersein gelebt, eine Vorstellung, die mich schon damals mit Vorfreude erfüllt hatte. Nun fand ich meine geliebte Giulia und ihre Kleider, liebevoll von meiner Großmutter verpackt, in den Kisten wieder. Ich holte sie aus ihrem Dornröschenschlaf und mit ihr meine betrogene Gewissheit von damals. Giulia war meine Lieblingspuppe, weil sie die Größe eines echten Babys hatte und auch „echte“ Babykleidung tragen konnte. Ich nahm sie in den Arm, drückte sie an mich und spürte all meine Sehnsucht und Zuversicht von ehedem, die sich nun in Tränen lösten, in Vorahnung dass aus meiner Vorstellung von damals sehr wahrscheinlich nie Realität werden würde.

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