Generation X

1968 geboren, gehöre ich nicht mehr ganz zu den geburtenstarken Babyboomern, sondern eigentlich schon zur Generation X. Eindeutig waren wir die erste Generation Frauen, welche erstmalig die dieselben Möglichkeiten wie ihre Brüder und Mitschüler bekamen und Freiheiten genossen, von denen unsere Mütter noch träumten. In den Schulen gab es große Schulklassen, wir zählten in manchen Jahrgängen bis zu 40 Kindern in einer Klasse. Der Wettbewerb war groß und es drängten viele auf den boomenden Arbeitsmarkt.

Ich gehörte zu den Ersten, die schon in der Schulzeit ein Auslandsjahr machte. Nach dem Abitur ging ich zum Studieren nach England. Während der Sommer machte ich Praktika, um berufliche Praxis zu gewinnen und weitere Sprachen zu lernen. „The world was our oyster“, – diesem Motto treu, entdeckten wir uns und die Welt, reisten und verbrachten auch längere Zeit im Ausland, und wenn wir in Partnerschaft waren, nannten wir uns „Lebensabschnittsgefährten“. Für die meisten lag die Familienplanung in weiter Ferne. Unsere Mütter hatten mit Anfang, spätestens Mitte Zwanzig Kinder bekommen, in unserer Generation bekam frau die ersten Kinder oft erst Anfang Dreißig.

Nach den Jahren der Ausbildung und Freizügigkeit konzentrierten wir Babyboomer und Generation X Kids uns auf unseren beruflichen Werdegang. Hohe berufliche Einsatz- und Aufopferungsbereitschaft wurde erwartet. Wir waren viele, die sich auf wenige Stellen bewarben. Burn-out und Depression waren die Folgen eines wachsenden Arbeitspensums. Anders als unsere Väter, die sich für einen Berufszweig oder ein Unternehmen entschieden, und dort ihr ganzes Leben verbrachten, wechselten wir viele Male unsere Arbeitgeber, berufliche Ausrichtung oder Standorte. Diese Wechsel forderten nicht nur inhaltliche Flexibilität und Bereitschaft zur Neuorientierung, sondern auch zeitliche und geografische Anpassungsfähigkeit. Mit der Veränderung der Berufswelt und dem gleichzeitigen gesellschaftlichen Wandel, genossen wir junge Frauen erstmalig dieselben Freiheiten wie unsere männlichen Altersgenossen.

Auch für die jungen Männer hatte dieser gesellschaftliche Wandel Folgen. Die freien Frauen machten es möglich, keine Entscheidungen treffen und somit erstmals keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Für die Herren gab es keine biologische Uhr, sie hatten Zeit. Tatsächlich wuchs ich mit folgenden Worten meiner Mutter heran: „Wichtig ist es, dass Du Dein Leben lebst; heiraten und Kinder kriegen, kannst Du später“. Oft habe ich mich gefragt, ob dieses Mantra unserer Mütter tatsächlich eine so große Hilfe für uns darstellte. Mein altmodischer Wunsch nach Mann und Kindern schien unzeitgemäß. „Bloß nicht! Binde Dich nicht zu jung! Viel wichtiger ist, dass Du beruflich auf eigenen Beinen stehst und finanziell unabhängig bist … Du darfst nie in die Situation geraten, keine Wahl zu haben…“. Frauen im Alter meiner Mutter wussten, was es bedeutete, keine Wahl zu haben.

Wir, die in den 1960gern Geborenen, wuchsen mit der Gewissheit heran, dass wir Zeit hatten. Keiner machte Druck. Es ging um unsere persönliche Entfaltung, um die Inanspruchnahme aller Möglichkeiten, die uns das Leben bot. Die Folge war, dass wir Frauen keine festen Bindungen eingingen, wenn wir nicht den richtigen Partner fanden; wir genossen Ungebundenheit, flirteten und wechselten Partner. Manche von uns entschieden schon damals, keine Kinder zu wollen. Es interessierte sie nicht, Kinder als ein Lebensziel zu verfolgen. Sie verzichteten, weil sie die Freiheiten, die ein kinderloses Leben bot, nicht entbehren wollten. Berufliche Karriere, sexuelle Ungebundenheit, größtmögliche Beweglichkeit waren für viele die attraktiveren Lebensalternativen. Meine Generation war getragen von einem überschäumenden Gefühl der Selbstverwirklichung – Verlust, Scheitern und Niederlage waren Kategorien, die man nicht in Betracht zog. Ariel Levy beschreibt diese Haltung in ihrem Roman „Gegen alle Regeln“ sehr eingängig: „Wir wuchsen mit dem Gefühl auf, dass wir tun und lassen konnten, was immer wir wollten – es stand uns frei, wir selbst zu sein“. i

Frauen wie Männer, – wir bewegten uns mit der Aura der Unverwundbarkeit. Männer genossen das großzügige Angebot, nahmen die Ungebundenheit genauso in Anspruch und hatten den Vorzug, nicht in jungen Jahren Verantwortung für eine Familie übernehmen zu müssen. Oft spürte ich, dass Männer meines Alters es begrüßten, wenn Frauen berufstätig und unabhängig waren, aber wenn es um die Wahl eines Lebenspartners ging, dann präferierten sie den Typus ihrer Mutter, eine Frau der früheren Generation, die ihnen signalisierte, ihre Arbeit sei zweitrangig und könne aufgegeben werden, wenn man Kinder bekäme. Dieses widersprüchliche Handeln ging zu Lasten von berufstätigen, engagierten Frauen.

Sobald Frauen Kinder bekamen, machte ihre Karriere einen Knick und sie akzeptieren wirtschaftliche Einbußen. Nolens volens. Die Männer waren die Gewinner dieser Zeit. Sie hatten die Wahl, wie Susanne Gaschke es auf den Punkt bringt: „Wer sich festlegt hat verloren. Sex gibt es ohne Vorleistung, ohne Eheversprechen, ohne Zustimmung der Eltern, ohne Werbung um das Objekt der Begierde. Alles andere, vom Hemdenbügeln bis zur Nahrungszubereitung, können Männer outsourcen.“ii Oder noch pointierter formuliert: „Die Frau darf Karriere machen, aber er putzt nicht.“iii Diese ewigen Singles, auf dem Frauenmarkt begehrte Männer, attraktiv, gebildet, beruflich erfolgreich, weit gereist, mit der Aura und Erfahrung der Kosmopoliten, wechselten schnell ihre Partnerinnen, wenn sie merkten, dass es ernst wurde.

Mit rund 1,4 Millionen Kindern war 1964 der geburtenstärkste Jahrgang nach dem Krieg. 40 Jahre später lag die Geburtenrate bei der Hälfte. Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Kinderlosigkeit zwischen 1937 und 1967 von 11% auf 21% fast verdoppelt.iv In einem 2008 erhobenen Mikrozensus stellt das Statistische Bundesamt fest, dass die Zahl der Kinder je Mutter zwar relativ stabil blieb, die Kinderlosigkeit insgesamt allerdings zunahm. Dies bedeutet, dass die meisten Frauen nach wie vor Kinder bekommen, allerdings ist die Prozentuale der Frauen, die kinderlos geblieben sind, im Laufe der letzten Jahrzehnte kontinuierlich gestiegen. Kinderlosigkeit ist heute der Hauptgrund für die niedrigen Geburtenraten.

„Die Frauenbewegung hat auf diese (zentrale!) biografische Frage keine Antwort gefunden. Den meisten Frauen ist klar, dass gleiche Rechte und Chancen für Frauen nicht bedeuten dürfen, massenhaft auf ein dermaßen zentrales Element von Weiblichkeit zu verzichten … Frauen können diese Möglichkeit als Last begreifen, als ihnen schicksalhaft und ungerechterweise aufgebürdete Verantwortung, aber natürlich auch als Verhandlungskapital für einen neuen Geschlechtervertrag.“, resümiert Susanne Gaschke.v

Auch ich gehöre zu den 20% kinderlosen Frauen dieser Generation. Ich blieb ungewollt kinderlos, auch mit und trotz medizinischer Hilfe – die kein Allheilmittel bereithält. Ich musste mit diesem Verlust, Scheitern und Niederlage fertig werden, die ich nicht eingeplant hatte, sogar niemals für möglich gehalten hatte.
Vielleicht ist die Kinderlosigkeit auch ein Preis für die wunderbar sorglosen, ungebundenen Lehr- und Wanderjahre. Wenn man mich heute fragt, möchte ich diese Zeit keinesfalls missen; sie hat mich zu der gemacht, die ich heute bin.
Allerdings würde ich jungen Frauen raten, die Familienplanung früh mitzudenken und zu berücksichtigen. Es gibt einfach diesen unumkehrbaren Punkt, wenn es für uns zu spät ist. Den dürfen wir nie aus den Augen verlieren, wenn wir uns Kinder wünschen.


ii Ariel Levy, The Rules do not apply (Gegen alle Regeln), Random House New York, 2018
ii Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle, Erfolgreich, einsam, kinderlos. C. Bertelsmann 2005, S. 121 ff.
iii Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle, Erfolgreich, einsam, kinderlos. C. Bertelsmann 2005, S. 111.
iv Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2008, Neue Daten zur Kinderlosigkeit in Deutschland, Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 29. Juli 2009, Berlin
v Susanne Gaschke, Die Emanzipationsfalle, Erfolgreich, einsam, kinderlos. C. Bertelsmann 2005, S.34.

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