Auf dem Bild in dem Kinderwunschzentrum strahle ich. Ich bin in guter Hoffnung. Der Hormonpegel war hoch und ich war schwanger. Doch trotz medizinischer Hilfe blieb ich es nicht.
Für einen Außenstehenden ist es kaum nachvollziehbar, was es für ein Paar bedeutet, sich in die Mühlen eines medizinischen Apparates zu begeben, wenn sich der Kinderwunsch nicht auf natürlichem Wege erfüllt. Der Akt, der normalerweise im Intimen stattfindet, wird plötzlich zu einer Angelegenheit vieler Menschen. Der Arzt fragt nach allem Möglichen: wann Anfang und Ende des letzten Zyklus‘ waren, wann der letzte Geschlechtsverkehr stattgefunden hat, wann der Mann das letzte Mal einen Samenerguss hatte. Die Sprechstundenhilfe nimmt täglich Blut bei der Frau ab, um den Hormonspiegel zu messen. Das Intimleben eines Paares befindet sich unter einem Vergrößerungsglas. Sobald die Frau die Hormone zu nehmen beginnt – tägliche Spritzen, die man sich selbst in den Bauch injiziert – darf man keinen Geschlechtsverkehr mehr haben und der Mann hat enthaltsam zu sein. Es wird ihm genau erklärt, wie lange er zurückhalten muss, wie er sich ohne Ejakulation stimulieren kann, und wie viele Tage die Spermien brauchen, um sich zu regenerieren, um dann „frisch“ für den „D-Day“ zu sein. Es war peinigend, wobei wir
Frauen gewiss den physisch anspruchsvolleren Beitrag leisten.
Am „D-Day“, wenn die herangereiften Eizellen unter Vollnarkose operativ entnommen werden, muss der Partner bereitstehen. Es gibt in allen Kinderwunsch-Praxen Räume zur „Gewinnung“, die sehr unterschiedlich gestaltet sind. Manche sind ganz nüchtern eingerichtet, ein Stuhl, ein Tisch und ein Waschbecken. Andere versuchen eine heimelige Atmosphäre zu schaffen, stellen einen Sessel hinein, Beistelltisch und verstecken das klinische Waschbecken hinter einem Paravent. Die Wände sind nüchtern weiß oder in animierenden warmen Tönen gehalten. Viele halten pornografische Hefte und Filme bereit, es können auch Aktfotos im Zimmer hängen, damit die Männer gleich erregt werden und möglichst schnell an ihr Ziel gelangen. Aber manche Praxen schicken die Herren mit dem Becher einfach nur auf die Toilette. Für mich war der Gedanke verstörend, dass dieser seelenlose Akt zur Zeugung eines Kindes führen sollte. Um diesen Moment beneide ich keinen Mann. Andreas Bernhard formuliert das in seinem fundiert recherchierten Buch „Kinder machen“ sehr pointiert: „Sexualität bringt im Milieu der assistierten Empfängnis nicht mehr neues Leben hervor, sondern hat nur noch mittelbare Funktion: Im Modus der pornografischen Inszenierung hilft sie, dem männlichen Körper jenes Zeugungsmaterial zu entlocken, das unter ärztlicher Assistenz mit dem weiblichen verbunden wird.“1
Der Becher mit dem Ejakulat kommt möglichst schnell und warm und geschützt ins Labor, denn die gereiften Eizellen dürfen nicht lange warten. Und dann beginnt der Teil, der normalerweise in unserem Körper passieren würde: Samenzellen werden „gewaschen“, geschleudert und präpariert, und Eizellen in eine nährende Lösung gelegt. Unter dem Mikroskop führt der Embryologe oder die Embryologin Samen und Eizellen mit Pipetten in einer Petrischale (in vitro) zusammen. In der nährenden Flüssigkeit bewegen sich die Spermien schnell und finden in der Regel zur Eizelle, die sie wie im Körper auch, durchdringen und befruchten. Wenn die Spermien dazu nicht in der Lage sind, weil sie zu schwach oder unbeweglich sind, werden sie mit Hilfe einer feinen Nadel direkt in die Eizelle injiziert, der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion, auch ICSI genannt.
Als ich zum ersten Mal von dieser Methode erfuhr, empfand ich sie persönlich als eine „Vergewaltigung“ der Eizelle. Wenn das Spermium die Eizelle unter normalen, natürlichen Bedingungen nicht durchdringt, warum tut man das der Eizelle an, zwingt ihr das Spermium auf? Auch fragte ich mich, wie wirkt sich so eine Prozedur unter Umständen auf das Kind aus? ICSI empfand ich als einen massiven Eingriff. Doch zum Zeitpunkt meiner IVF war auch ich zu ICSI bereit.
Neben dem biologischen Prozess kommen meines Erachtens Aspekte bei der Zeugung eines Menschen hinzu, die medizinisch keine Relevanz haben mögen, aber vielleicht unser Mensch-Sein ausmachen: was spielt sich in den tiefen Furchen unserer Körperhöhlen ab, wenn sich zwei Menschen lieben? Wie trägt die Energie unserer Körper oder die Intensität unserer Orgasmen dazu bei, dass eben diese eine Eizelle sich mit jener einen Samenzelle unter Millionen vereint?
Dieses Zufallsmoment, außerhalb jeglicher Einsicht und Kontrolle, ist das, was uns Menschen ausmacht. Das Verschmelzen dieser einen Eizelle mit einem einzigen Spermium machen uns aus – unsere Eigenheiten, unseren Charakter, unser Wesen, unsere Einmaligkeit. Wie kommt es dazu, dass sich gerade diese zwei gefunden haben und miteinander verschmelzen? Was beeinflusst diesen einzigartigen Prozess? Welche Kraft treibt an? Welche Hand führt? Wo kommt die treibende Energie her? Wer entscheidet, ob sich dieses Zellpaket weiterentwickelt, oder wieder abgeht? Dieser Prozess, der außerhalb jeglicher Einflussmöglichkeiten liegt, ist der für mich so Spannende. Selbst die Ärzte sagten immer zu mir: ab dem Moment der Einführung der Blastozyten in die Gebärmutter, arbeitet die Natur – darauf hat der Mensch keinen Einfluss mehr. Es ist ein Wunder. Auch wenn wir Kinder im Reagenzglas erzeugen.
Technische Innovation macht ein starkes menschliches Einwirken auf den Zeugungsprozess möglich. Dennoch ist Demut geboten. Denn in dem Zufall unserer Entstehung liegt der Zauber unseres Menschseins und unsere Einmaligkeit.
1Andreas Bernhard, Kinder machen. Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung.
Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2014, S. 99
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